Überrumpelung und Entrümpelung

 

Das Folgende läuft darauf hinaus, daß nur Patienten ein allseitig begründetes Interesse an der Umwälzung aller Verhältnisse haben können, und daß der revolutionäre Prozess die ärztliche Hilfe der revolutionären Kranken braucht; daß der allseitig entwickelte Krankheitsbegriff der Nabel ist, über den der neue Mensch mit der unteilbaren Gattung verbunden ist.

Die antike Sklavenhaltergesellschaft und die anachronistische Gesellschaft der freien Spätkapitalisten sollen sich darauf beschränkt haben – kurz gesagt –, Krankheit mittels Krankheit zu behandeln (wobei Diagnose und Erzeugung in diesen Vorgang einbegriffen waren).

Nur der vorbegrifflichen Genialität des Geldes ist es zu danken, daß dieser Zauber über mehr als zweieinhalb Jahrtausende hinweg zunächst den gesellschaftlichen Überbau, später die Basis durchherrschte, zunächst Kult war, später Labor ineins mit labor (Arbeit) wurde (jedem Frontalangriff aber mit jener Mentalität begegnete, die man wohl am ehesten einem Pulverfass zutrauen würde, das Lunte riecht).
Sieht man davon ab, daß Therapeut in der griechischen Patristik schlicht Mönch bedeutet, womit sich bereits abzeichnet, daß kultische Handlungen Krankheit einbegreifen, von Krankheit gleichsam programmiert sind, dann wird man auch kaum etwas dabei finden, daß der Staatskult im hellenistischen Alexandrien ganz in Krankheit unter dem Wappen des Heilgottes Äskulap aufging. Dieser soll seine den Sklavenhalterstaat tragende gleichermaßen kränkende wie heilende Kraft eigener Krankheit verdankt haben, darin vergleichbar dem epileptischen Halbgott Herakles nicht anders, wie dem Halbtier (Zentaur) Chiron. Sie alle galten als Archiater* (Formkünstler, daher der Name Arzt. Man tut wahrscheinlich gut daran, Archiater (Formkünstler) mit Staatsschützer zu übersetzen und zwar durchaus im auch militärischen, gegen die Versklavten und zu Versklavenden gerichteten, um nicht zu sagen anti-anarchistischen Verstand dieser Dienstbezeichnung. Dies nicht nur, weil sie, wie Herakles und Chiron, ausgesprochen streitbar waren: ihre Hände und Finger (Manus) symbolisierten in-eins die Heerscharen, Heilung und Zeugung!).

* arch …: erz, ur, ober, vorzüglichst, erstrangig, höchstrangig, altertümlich;
iater …: heil

Krankheit funktionierte als Heilmittel und ebenso als Integral der Kultur. Kultische Handlungen, sei es als Inkubationsritus, pharmakologische Eingriffe, Chiropraktiken, oder als was auch immer, galten lediglich als Stimulatoren, Kanalisatoren und Katalysatoren, um je nachdem die trennende, verbindende oder die Unterschiede ineinander verkehrende, der Krankheit zugeschriebene Tendenz in die Wege zu leiten, Göttliches, Menschliches und Tierisches hinsichtlich maßvoller Synthese nicht anders als hinsichtlich schädlicher Kontamination zu steuern. Dabei wurde in der Kontamination (Vermischung, bezogen auf Körper und Geist und in analoger Abwandlung dazu Vermischung von Körpersäften, Elementen usw.) der Beginn von Krankheit gesehen. In der Umkehrung dieser Kontamination, im Sinne von Entmischung und Wiederherstellung der richtigen Proportionen (Eukrasie versa Dyskrasie) hat man die Wirkung von Krankheit als Heilmittel vermutet.

Krankheit vorn und Krankheit hinten, kein Wechsel des Vorzeichens, keine Veränderung, also Zirkelschluss, Urform (Archē), Urzeugung, ausschließende Einheit. Die bestimmenden Momente des Begriffs als Widerspruch von Schein und Wesen, aufgehoben in der sie repräsentierenden Erscheinung, werden auch andere im Kult mit der Krankheit vergeblich suchen.

Die negierende Affirmation, Heilmittel Krankheit, macht noch keinen Begriff. Und der phänomenale Sachverhalt, daß ein ganzer gesellschaftlicher Überbau seine spezifische Differenz zur Basis als Krankheit einheitlich spiegelt, ist noch alles andere als Erscheinung, alles andere als Widerspiegelung der Logik von Krankheit, ihres Wesens, das darin besteht, die Gattung Mensch, wo es sie nicht bruchlos individuieren kann, als entgiftende, kollektivierende und propagierende (mehrende) Gewalt zu entäußern.

Aber soviel wurde in Krankheit immerhin, wenn nicht begriffen, dann umso mehr geahnt: sie war mit Armut verschwistert. Die gemeinsame Erbmasse, das Genom sozusagen, gibt sich damit geradezu zwanglos als Geld zu erkennen, zumal es im Kult ganz unverhüllt wiedererscheint. Dies weniger in Form der Fundstelle eines Schatzes als Heilmittel gegen Armut – denn diese Erscheinungsmodalität war, zumindest zunächst, der Traumtätigkeit ("Inkubation") vorbehalten – als vielmehr in Gestalt von Opfersteuern, ohne deren leibhaftige Präsenz kultisches Handeln erst gar nicht stattfinden durfte. Dieser Zustand macht zugleich das abstrakte Niveau deutlich, auf dem Krankheit angesiedelt wurde.

Das Geld prägte noch andere Artikel und deren Besitzer und zwar in Warenbesitzer und Waren, sonst nichts. Der Totalumwandlung des Menschen in einen Artikel Sklave entsprach die zunehmende Partikularisierung des Teils, der dabei abfiel: des Warenbesitzers.
Er zerfiel in immer zahlreichere Partikel, Psyche und Soma beispielsweise – um nur die markantesten zu nennen. Beim Sklaven hingegen nichts von alledem, d.h. kein Splitter Körper, Seele, Mensch, Person, eben Artikel zum Kauf, Verkauf, Vermietung, Geschenk und nur insofern zu treuen Händen und pfleglicher Nutzung. Oder einfach zum unmittelbaren und rückstandlosen Totalverschleiß zu Lasten des Eigentümers. Mensch sein, zur Klasse der Herrschenden gehören, Geld und Kultur auf der einen und Kranksein auf der anderen Seite waren ein und dasselbe und galten als Auszeichnung. Der "Rest", Sklaven, Barbaren und anderes, fiel unter Chaos.

Sofern es sich bei Krankheit um die Kontamination zwischen Seele und Körper gehandelt haben soll, ist nun klar, daß der Patient prinzipiell nur der Partikelseite zugehört haben kann, Warenbesitzer mit der Fähigkeit sich zu artikulieren, d.h. unter anderem, sich Sklaven zu halten, gewesen sein muss.

Denn auf Seiten der Artikel war weder eine kontaminationsfähige Seele, noch gar das als Eingangsstufe für den Kult mit der Krankheit geforderte Kleingeld vorgesehen. Allerdings wurde im Symptom – mit seinem Verweisungscharakter auf Sympathie – wenn nicht die Qual, so doch die Qualität eines Außen und Innen, Vorher und Nachher ineins-setzenden, Raum und Zeit enthobenen Etwas anvisiert (Cicero), und dieser Umstand könnte es dem Sklavenhalter ermöglicht haben, im weiteren Vollzug der Partikularisierung seiner Person auch den Sklaven dem Kult zu vindizieren.

Es geht hier nicht in erster Linie um Sklaverei. Sie ist aus der Arbeits"teilung" hervorgegangen und entspricht der Funktionalisierung des Menschen in ein gegen Seinesgleichen nicht anders als gegen Vieh (Pecus – Pecunia) und sonstige Bestände der Produktions- und Reproduktionssphäre austauschbares Werkzeug.

Die Verwandlung des Menschen in einen Ausdruck für Geld, und darum geht es hier, hat demgegenüber die Bedeutung dessen, was man metaphorisch mit einem Klischee der heutigen Biologie wohl am zutreffendsten totale Defektmutation nennen würde. Während der Gattung Tier die prinzipiell unaufhebbare Spaltung zwischen Gattung als Begriff in seiner Allgemeinheit und Exemplar als der empirischen Besonderheit entspricht, während das Arbeits- und Lebensmittel Rückschlüsse auf Umkreis und Mitte einer Spezialisierung und Spezifizierung zulässt, wobei sogar das Vereinzelte, wie widersprüchlich auch immer, Ausdruck einer Wesenseinheit im Verhältnis zur Gattung bleibt, ist es unter der Regie des Tauschmittels Geld mit der Individualität (Unteilbarkeit) dieses (keimhaften) rudimentären Gattungs-Zusammenhangs gründlich vorbei.

Ist das Radikal Gattung erst einmal durch das allwertige Element Geld ersetzt – und genau darum handelt es sich bei der Verwandlung des Menschen in Ware –, dann ist er gleichsam herausgehebelt, entwurzelt, und zwar, um im Bild zu bleiben: chemisch rein gegenüber der Möglichkeit, Entwicklungen anders zu vollziehen als in vielfältiger Brechung, allgemeiner Zersplitterung aller Zusammenhänge in wunderliche Besonderheiten, eben jene, deren Kontamination nur durch Geld abwendbar ist, und sei es durch Stabilisierung ihrer "Warennatur" und zwar unter dem Index Heilung.
Die Ersatzgattung heißt, in einem Wort zusammengefasst: Wert. Sie entspringt der Tauschhandlung unter der Voraussetzung, daß verschiedenartige Objekte, d.h. Objekte unterschiedlicher Gattungszugehörigkeit derTransaktion jeweils Ausdruck einer gleichen Anzahl von Geldeinheiten sind. So entspricht beispielsweise die Handelsware Mensch einer bestimmten Anzahl Geldeinheiten und mehr ist an ihr nicht dran, denn alles andere an dieser Ware ist lediglich Ausdruck dieser Geldeinheiten, d.h. er ist, ob Haut, Nerv, Muskel, von allem Wert getrennt, hingegen wertvoll und zwar ausschließlich als Ausdruck und nach Maßgabe des Quantums Geldeinheiten, unter dem er vorgestellt wird (s. später: anima idea corporis).
Daß Haut, Nerv, Muskel usw. mit dieser Vorstellung gleichgesetzt werden und infolge dieser Gleichsetzung wertvoll scheinen, z.B. weil sie mit der Produktion zu tun haben, ist sekundär, ihrem Wesen nach sind sie unwiderruflich Akzidenzien des Geldes; primär nämlich kann es nur darauf ankommen, die Pseudogattung Wert, wie sie als Universalform von der geldvermittelten Tauschhandlung abhebt, in adäquat abstrakte Denkformen zu kleiden.
Die Verwandlung des Menschen in Ware hat Rückwirkungen nicht nur auf die Formen ihres Zusammenlebens. Sie entspricht in ihren Auswirkungen einem Mutationssprung hin zum Pathoplastikum Kultur.

So ist das Werden des "alles fließt" die Kategorie, unter der primär der Gesamtkomplex von Warenumschlag und Geldfluss gedankliche Gestalt annimmt. Keineswegs aber ist vorgesehen, daß in diesem Werden Bewegungen, d.h. ein wirkliches Werden etwa des Menschen stattfindet, der in Ware verwandelt wurde, über diesen Warencharakter hinaus.

Kaum gedacht, ist diese Kategorie Werden schon zum Sein geronnen, womit sich die Wertform auch in dieser Larve (Maske) als Sackgasse (Aporie) jeder Veränderung (Defektmutation) ausweist.
Das herakliteïsche Werden des "alles fließt" ist nichts weiter als die merkantil hypostasierende Rückprojektion des schwungvollen Sklavenhandels, wie er im Hafengebiet des alten Ephesus florierte, auf das Universum. Das parmenideïsche Sein ist der entsprechende Ausdruck für das Wertgesetz, dafür also, daß in diesem immerfließenden Werden nichts wird: das Wertquantum bei allen Transaktionen unterschiedlicher Inhalte dasselbe bleibt. Es kennzeichnet die kulturschöpferische Bedeutung von Krankheit, daß ein Friedrich Nietzsche runde zweieinhalb Jahrtausende nach Heraklit und Parmenides gleichermaßen unreflektiert dem Weltall eine "ewige Wiederkehr des Gleichen" unterstellen wollte, nämlich daß der Gesamthaushalt der im Universum verfügbaren Kräfte nur konstant sein kann, demnach die Anzahl möglicher Kombinationen eine endliche Größe und folglich die Wiederkehr identischer Kombinationen so zwingend, wie bei einer Anzahl (annäherungsweise unendlichen Anzahl) von Schachspielen gleiche Ereignisse.
Obgleich im Umgang mit den Werten der Moral bewandert wie kaum ein anderer, war ihm die Geburt der ewig gleichen Wertform aus dem historisch durchaus endlichen Wertding Geld so fremd, wie die Verachtung für alles "Morbide" wesensverwandt.

Die Wesensverrücktheit dieses Ansatzes hat ihren Angelpunkt in der Mechanik des Warentauschs. Sie ist weder Ausdruck exzentrischer Genialität, noch Produkt einer Spirochäta-Pallida-Infektion. Sie kann aber als Beleg für die eingangs getroffene Feststellung genommen werden, daß Krankheit durch die Jahrtausende hindurch mit strukturisomorphen Denkschablonen verbunden ist. Je klarer diese hervortreten, umso größer die spontane Bereitschaft auf Krankheit zu schließen, mystische Kräfte und Strömungen am Werk zu sehen, umso geringer die Tendenz, die vollentwickelte vorkapitalistische Tauschwirtschaft mit Krankheit zu identifizieren, geschweige denn mit der einen Seite ihres Wesens, ihrer Gattungs-Allgemeinheit: der Wertform.

Die Wertform, sie gibt es sonst nirgendwo als im Denken, entspringt nicht etwa der Gehirntätigkeit, einem Reflex personaler Subjektivität, sie hat phylo- und ontogenetisch einzig die geldvermittelte Tauschhandlung zum Ursprung und Subjekt. Es scheint, daß dieser Sachverhalt zumindest ahnungsweise der antiken Ideologie noch gegenwärtig war, weil diese die Subjektivität und zwar unter der Kategorie hypokeimenon (Zugrundeliegendes) in die Außenwelt verlegte, also vergleichsweise "materialistisch" konzipierte, was seit Descartes als Prinzip des Selbst – denn nichts sonst ist der Sinn dessen, was die Philosophiegeschichte mit dem Ausdruck Subjektivität verbindet – als Sache der Persönlichkeit, insbesondere des arbeits"teilig" emanzipierten Bürgers gilt.

So blieb ja Krankheit auch als Eigenschaft des kranken Heil-Gottes Äußerlichkeit, ein von Außen Wirkendes. Erst recht im Staatskult kehrte sie dieses Stigma hervor. Die damit verbundenen Rituale und Vorgänge abstrakten Austauschs von Opfersteuern gegen "Werte" zielen auf ein Objekt, "den Kranken", das vom Subjekt der Tauschhandlung (repräsentiert durch den "therapierenden" Mönch) soweit als möglich getrennt ist. Wer sich im Zustand der "Inkubation" befindet, ist ohne Bewußtsein. Ein Scheintoter im Heilschlaf, der dafür herhalten muss, den Inhalt jener Rituale zu bilden, die den Anspruch erheben, das Leben der Gattung Mensch in seiner spezifischen Differenz ("Atomon Eidos"), der nur im Menschen existierenden Wertform, zu zelebrieren. Ein Toter auf Abruf, vorübergehend mit Außenbordantrieb, Leben aus zweiter Hand.

Ohne Bewußtsein bedeutet aber auch ohne Subjekt-Objekt-Spaltung, ohne Subjekt-Objekt-Beziehung zu sein, denn Bewußtsein im ursprünglichen Sinn der Wortbedeutung ist nur ein anderer Ausdruck für diese Beziehung und jene Spaltung.

Das Zusammenfallen von Subjekt und Objekt in der Krankheit, genauer: die Tatsache, daß, was Leiden bewirkt, vom Leidenden seinerseits geschaffen – ins Werk gesetztes Leiden – bzw. zu schaffen sei ("Leidenschaft", K. Marx), gilt der (bürgerlichen) Psychoanalyse seit Freud als gängige Lehrmeinung – der übrigens auch Marx, von seinem prinzipiell anderen Ansatz her – auf der Spur war. Es ist dabei von besonderer Bedeutung, daß die "Psychopathologie des Alltagslebens" auf Krankheit als einen Sachverhalt abzielt, dem jeder, also ganz explizit nicht nur der "klinisch Kranke", täglich unterworfen ist, wenn er gegen seine Absicht jene "gezielten Fehlleistungen" tätigt, die als "Tücke des Objekts" ebenso auf ihn zurückschlagen, wie sie als " … anscheinende Absichtlichkeit im Schicksal des Einzelnen" (Schopenhauer) längst eine, wenn auch illusionäre Begründung im biologistischen Voluntarismus erhalten haben.

Wie bekannt, sind es das "Unbewusste", substantialisiert und vergegenständlicht zum "UnterBewußtsein", bzw. der "Wille", und der "Genius" (Hegel, Schelling), die, von Raum, Zeit und Wirklichkeit schlechthin abstrahierend als tätige Subjekte dessen zu veranschlagen sind, was sich der Beobachtung als schicksalhafte Krankheit darstellt. Es geht also darum, den Standpunkt dessen, der sich darin täuscht, daß ihm etwas nur widerfährt, ganz einfach mit dem Standpunkt dessen zu vertauschen, der sich dabei beobachtet, wie er eben dies alles selbst hervorbringt.

In dieser Auffassung verschmelzen Subjekt und Objekt völlig. Wenn Gattung Prinzip der Einheit ist, der Zwiespalt als einer und ganzer wirklich, Monade wird, dann kann sie – unter den historischen Verhältnissen des Kapitalismus – im weitesten Sinn (beginnend bei der geldgesteuerten antiken Tauschgesellschaft) ihre Wirklichkeit nirgends sonst als in (dieser Auffassung von) Krankheit haben.
Zu Ende gedacht, laufen solche Errungenschaften bürgerlicher Psychologie und Philosophie darauf hinaus, daß jeder Kranke Grund habe sich glücklich zu preisen, weil Krankheit ihn auf den Weg der Vervollkommnung führe (C. G. Jung), z.B. zu der fundamental-pessimistischen Erkenntnis, daß der Tod die beste aller denkbaren Lösungen sei, nachdem die Geburt ohnedies keiner mehr rückgängig machen kann (Schopenhauer). In letzter Konsequenz wäre so schließlich einzig der Tod die alle verbindende Gattung, weil sie das vermeintliche Subjekt aus Spaltung und Zerrissenheit auf dieses, sein identisches Wesen reduziert, nachdem Krankheit über die Funktion eines Erkenntnismittels der Einheit von Selbst und darunter leiden hinaus, weit eher die Zerrissenheit spürbar macht – aufs äußerste gesteigerte Schmerzen, Verzweiflung – als jene Vollkommenheit elitärer "Ich-Autonomie", wie sie die neuere bürgerliche Theorie denen verheißt, die Krankheit unter ihrer Anleitung und gewappnet mit dem Versprechen, schöpferische Fähigkeiten zu erlangen, ermutigt werden, zum Menetekel zu machen.
Immerhin aber kommt sie nicht darum herum, diesen Aspekt von Entfremdung in der ganzen Breite und Tiefe seiner Bedeutung anzusprechen, wobei sie sich im allgemeinen allerdings wohl hütet, das Phänomen ausdrücklich beim Namen zu nennen.

Wenn die Aufforderung, in der anscheinenden Zufälligkeit und Fremdheit schicksalhafter Ereignisse das einheitliche Produkt eigener Tätigkeit zu erkennen, wobei dieses Produkt als Krankheit stillschweigend für (unveräußert und) unveräußerlich gilt, dann dadurch, daß es Menschen gibt, die zudem in der Lage sind, wenigstens etwas, nämlich Krankheit zu produzieren, indem sie sich voll und ganz finden, wiederentdecken, mit allen Wesenskräften verwirklichen.

Aber die verwirklichen sich, wie gesagt als Defektmutation der Wertform, die sich als "Wille", "UnterBewußtsein", und was auch immer getarnt, in okkulten Sympathien und Symptomen niederschlägt, von denen, wie bereits kurz erwähnt, schon Cicero bekannt war, daß sie Ausdruck des consensus, der cognatio, der coniunctio naturae seien, jener Punkt der Übereinstimmung von Außen und Innen, in dem (zeitlich und räumlich) Getrenntes verbunden sei. Und es hat durchaus den Anschein, daß Defektmutation dasjenige ist, was die ganze Kraft ihres Wesens ausmacht, die darin besteht, Fantasmen mysteriöser Herkunft äquivalent zu werden, d.h. in einer der vielen Rollen auf-, vor allem aber unterzugehen, wie sie als biographische Schicksale klassenspezifisch vorgelebt, vor allem aber als gesellschaftliche Rollen, geprägte Münze, Charakter und das bedeutet (seit W. Reich) mit Recht: (Charakter-) Panzerung gegen das "Funkeln des Protoplasmas" sind; zum anderen darin besteht, die Wertform als jene (Kant-Laplace´sche) Urnorm zu beleben, die das Wesen aller, mit Materie als Gattung überhaupt, ausmachen soll: explosiv zu sein, Raum, Zeit, Qualitatives wie Quantität in Punkt und Nu (nous) blitzartig zusammenzufassen und zu dimensionierbaren Wirkungen des Todes als abstrakteste Allgemeinheit zu verdichten.

Ganz analog die geldgesteuerte Tauschhandlung!
Der Äquivalententausch abstraktifiziert (Sohn-Rethel) Raum, Zeit, Menge und Art der auszutauschenden Gegenstände. Er ist das spirituelle Gegenbild jener Ur-Explosion, also fürwahr Urnorm affirmativer Zerstörung.

Einziges Kriterium ist die Äqui-Valenz. Sie bildet die Form der Tauschbewegung, die Wertform, die das Denken nicht nur all seiner gewohnten Form-Prinzipien (Kategorien) entleert, sondern jene qualitative Veränderung einleitet, perpetuiert und stabilisiert, die als bestimmender Teil in die Defektmutation eingeht.

Der Wert ist in die Dinge verrückt. Sie bilden in ihrer Verschiedenheit nur noch die Schale seiner Substantialisierung (Fetischismus der Warenwelt). Er scheint so auf den einzigen und ausschließlichen Träger dieser Wertform, das menschliche Gehirn, von außen zuzukommen, ihm zuzustoßen, während es selbst es ist, das ihn, induziert durch die Tauschhandlung als alles umfassende Denkschablone, allen Erfahrungen als Form (Archē) entgegenwirft (entwirft). Die Verrücktheit des Gehirns besteht darin, daß sich seine Träger als Wert-Dinge, Gegenstände (Ur-Narzissmus) verhalten.

Es sind also nicht die Gewalten eines Schopenhauerschen "Willens", nicht die Triebe eines anarchischen "UnterBewußtseins", die in Gestalt von schwer durchschaubaren Zufällen und schicksalhaftem Leiden Defektmutation produzieren, Krankheit an Stelle des Menschen als einer unteilbaren Gattung; Fantasmen aufzwingen, zum Nach- und Vorleben fremden, nämlich entfremdeten Lebens drängen, Urexplosionen und elementare Naturgewalt, die historisch (gesellschafts-geschichtlich) längst überformt sind, zum Vereinzeltes entgiftenden, Verzweifeltes kollektivierenden und menschliches Leben als Gattung individuierenden Durchbruch bewegen.

Wo gesellschaftliches wie naturhaftes Sein durch (das Medium) die universale Kommandogewalt der Tauschabstraktion längst in Gleichnisse des Werts (Äquivalente) übersetzt ist, bevor es Gelegenheit hat, in die bekannten Kategorien (des) Bewusst(Seins) auseinanderzutreten, sind Instanzen wie "UnterBewußtsein", "Wille", "Genius" überflüssig, wenn es sich darum handelt, die Täuschungen über den Faktor Schicksal zu erspüren und die Erscheinungsformen dessen aufzugreifen, was hinter dem Vorzeichen Krankheit steckt.

Äquivalenz-Prinzip und Wertgesetz haben diese Instanzen nicht nötig, um alles und jedes animistisch kurzzuschließen, zu "beseelen" (cf. libidinös zu "besetzen"), ihm als "Nerv der Dinge" (– gemeint ist damit Geld; übersehen wird dabei, daß der Mensch nicht immer Ding unter Dingen, Geld nur die Substanz seiner Formalverrücktheit ist –) zurückzugeben, was sie ihm an Lebenswirklichkeit genommen haben (affirmative Negation).

Dabei kommt es nicht darauf an, daß Phänomene der Allbeseelung (Animismus) älter sind als die Subsumtion der Gesellschaft unter das Geld. Wichtig ist, daß die "individuelle Seele" mit dem archaischen Animismus genetisch nichts zu tun hat, vielmehr aus eben dieser Universalisierung der Geldwirtschaft hervorgeht, die den größeren Teil der Gesellschaft und potentiell jeden in die Handels- und Arbeitsware Sklave verwandelt, eine Seele aber nur den Warenbesitzern zuschreibt als – vor allem in den Anfängen – dem ihnen gemeinsamen Geist, in letzter Zeit für die Bedürfnisse einer bestimmten psychotherapeutischen Modeströmung sogar zum verdrängten und daher "unbewussten" Geist stilisiert.

Der Teilung, besser Spaltung der Wertsubstanz in Ware und Geld auf der einen Seite, entspricht so die Spaltung des lebendigen Körpers in eine Ware und eine Seele als der verdinglichten Vorstellung eines unveräußerlichen Körpers auf der anderen Seite.
"Genius", "Wille", "UnterBewußtsein" sind nur Extremmodifikationen des Pseudodings Seele hinsichtlich Unveräußerlichkeit. Man gibt seine Seele so ungern ab wie das Geld. Beide haben in der Hierarchie "unsterblicher Werte" über viele Jahrhunderte hinweg Spitzenpositionen wider besseres Leben verteidigt. So gilt noch bei Hegel der "Genius" im Unterschied zur "empfindenden Seele", die das räumliche Auseinander des Körpers (res extensa) als Einheit empfindet (in der Empfindung in eins setzt), im Unterschied zur "fühlenden Seele", durch die Zustandsänderungen wie Wachen, Schlafen, Träumen als lebendige Einheit gefühlt werden, also das zeitliche Auseinander in eins gefasst wird – so gilt der "Genius" als die Instanz, in der Raum und Zeit, wie überhaupt alle naturgegebenen Unterschiede noch nicht wirksam werden, als Wert somit, als ein Überall und Nirgends, Immer und Nie, als eine allen Einflüssen und Äußerungen widerstandslos offenstehende Naturseele.

Nach allen bisherigen Ausführungen braucht nicht besonders auf die Übereinstimmung zwischen Wert als transzendentalem (aller Erfahrung vorgeordnet) und universalem Formprinzip und "verdrängtem Geist", gleichbedeutend mit "Genius", "Wille", "UnterBewußtsein", "Naturseele", – Seele überhaupt hingewiesen zu werden. Sie liegt auf der Hand, sofern dergleichen für erscheinungsmäßig Verschiedenes, wesensmäßig Gleiches in Anspruch genommen werden kann. Ihre Herkunft aus der Verwandlung des Menschen in Ware hat ihren Grund in der (epochal) abstraktifizierenden Tauschhandlung. Die Übereinstimmung ist also wesentlich Äquivalenz, nicht nur Gleichheit (Identität der Gegensätze) im Sinne der dialektischen Logik, denn diese hat ihre Wurzel – und das ist entscheidend – in der Praxis des Äquivalententauschs.
Dieser Umstand macht es unter anderem unmöglich, einen (falschen) Zirkelschluss zu unterstellen und überflüssig, die philosophische Hermeneutik des vorgeblichen Aufstiegs vom "produktiven Vorurteil" zum Ergebnis zu bemühen, das seinerseits wieder als Vorurteil betrachtet sich selbstkritisch bereichere, kurz: dieser Umstand bewahrt davor, aus der Not des Nietzsche‘schen Selbstdenkens-Selbsthenkens eine Tugend zu machen, weil es der praktischen Tätigkeit der Menschen den methodischen Primat über das Wie ihrer Erfahrungen insgesamt zu spricht.

Es kann erst recht nicht um die Binsenwahrheit gehen, daß Wert nach Tausch- und Gebrauchswert zu unterscheiden sei, auf gesellschaftlicher Übereinkunft beruhe, als Preis je nach Marktlage "Grillen zeige" (Marx), einem gesellschaftlichen Bedürfnis korrespondieren müsse, um überhaupt aktuell zu werden.
Vordergründig geht es schlicht um den Widerspruch, daß Wert und "Genius" eine Gattungsallgemeinheit bilden, deren Kohärenz das Substrat dieser Allgemeinheit, den Menschen, nur als (Mutation der) mutierenden Entartung möglich macht.

Um diese Zusammenhänge zu vertiefen, ist anzumerken, das die Konzeption von Wert und Seele-als-Genius eine Wirklichkeit voraussetzt, in der Personen und andere Dinge, dazu Raum und Zeit, Werden und Sein usw. keine andere Funktion haben, außer derjenigen, einander abzustoßen (Repulsion) und in sich selbst zu zerfallen.
Einzig die Abstraktionen Wertform und Seele bleiben Macht über die Inhalte dieser Kategorien.

Die Tauschhandlung abstraktifiziert ja nicht nur Raum und Zeit. Produkt dieses Vorgangs ist ebenso die negierende Demontage der Person bis hin zur Anonymität, gilt doch die Namengebung selbst als äußerstes Abstrahieren seitens des zeichensetzenden Geistes (Hegel), ist doch demnach dieses in der Namengebung wirksame Abstrahieren seinerseits im Grund nur Bestätigung (Affirmation) der sie in der universalen Negation der Tauschhandlung fundierenden Abstraktifizierung.

Nirgends sonst als in der Konzeption von Genius, Wille, UnterBewußtsein – kurz und altertümlich: Seele, kommen diese Verhältnisse zum Ausdruck, und diese Instanzen sind genetisch und aktuell nichts anderes als Ausdruck der Wertform, die sie begründet: sie geben sich gleichermaßen als Namenlosigkeit und Unpersönlichkeit zu erkennen, wie auch als Macht, der gegenüber sich Person und Name ebenso wenig als Hindernisse, Widerstände und Grenzen erweisen, wie deren Repulsion im "Nexus" von Raum, Zeit und Kausalität.

Bleibt festzuhalten, daß diese Macht gesellschaftliches Kunstprodukt ist, veranstaltet von der Praxis des Äquivalententauschs, gipfelnd in einer Zwischenmenschlichkeit, in der das "Zwischen" zum Wertgesetz vereinheitlicht, "Menschlichkeit" in okkulte Qualitäten gespalten ist: Extrakte und Substitute aus der Hierarchie einer bis zum Niveau der Verwandlung des Menschen in Ware vorangetriebenen Geldkultur.

Wie jede Macht, so steht auch diese im Widerspruch zu ihrer Äußerung. Ihrem Wesen nach Gattung, Wesensart, wird sie durch ihre Äußerung als Gewalt direkt in Ohnmacht, in ihr Unwesen verkehrt, zerreißt ihr aus den Abstraktionen des Äquivalententauschs gewobenes Netz erkünstelter Kommunikation. In der Krankheit ist dieser Gattungsantagonismus entäußert und identische Einheit, also Erscheinung. Ganz und gar Symptom, abstraktifiziert sie aus der Substanz des Wertgesetzes die Grundform menschlicher Wesenseinheit als Gewalt.
Wenn Wert und Gewalt das Wesen von Krankheit ist, Krankheit ihre Erscheinung, dann ist in jedem Fall zu unterstellen, daß die Erscheinung ihre Funktion nicht darin hat, ihr Wesen zu zeigen, sondern es zu verbergen. Das Phänomen Krankheit ist repräsentativ für den Antagonismus zwischen Wert und Gewalt. Es stellt etwas als Einheit wieder vor, das, wäre es als Wert und Gewalt verbunden, ein Nicht-Etwas, Nichts wäre.
Man wird folglich erwarten können, daß Gewalt und Wert den genetischen und aktuellen Umkreis von Krankheit bilden, die ihre Form Gewalt, wie ihren Inhalt Wert nicht anders "erinnert" (Hegel) als das Erzittern des Todesschreis den Kampf um Herrschaft und Knechtschaft, der für Marx zum Modell des Klassenkampfes wurde.
Daß es gerade Krankheit und kein anderes Phänomen ist, das hier die Einheit des prinzipiell Unverträglichen repräsentiert, ist in erster Annäherung schon durch den Hinweis auf die Gattungsspezifität der Wertform ("nirgends sonst als im Menschen") auf der einen und der Kategorie Naturgewalt auf der anderen Seite begründet. Beide sind im Menschen aufgehoben – um als Entfremdung reaktualisiert in Krankheit umzuschlagen: Selbstbegattung.

Im Rückblick auf den Kult mit der Krankheit hellenistisch-stoischer Prägung fiel schon eingangs auf, daß sie ganz und gar in die Staatsgewalt und in das System des Äquivalententauschs eingebettet ist. Sie erscheint nicht, sondern sie ist – nämlich eine Art Träger-Substanz, die sich mit ihren verschiedenen Säften, Elementen und Kontaminationen herumschlägt. Erscheinung ist hingegen die (Staats-)Gewalt, repräsentiert durch den Krankheitsgott Äskulap und die abstraktifizierende Tauschhandlung, repräsentiert durch den Therapeut-Mönch.

Auch ohne Krankheit des Gottes hat es den deutlichen Anschein, daß es das Wesen von Krankheit ist, das ihr hier unter der Maske von Mönch und Gott gegenübertritt, um sie zu "heilen", nämlich – wie eingangs kurz angedeutet – Krankheit als Erscheinung mit Krankheit als Wesen.
Nicht nur, daß man weiß, wie leicht Kranke auf der Strecke blieben, wenn sie zu schwach waren, die Stätten des Heils zu erreichen, als Schwangere, Minderbemittelte usw. vor die Tür gesetzt wurden, im "Heil"schlaf verendeten bzw. wenige Monate danach (wenn sie sich irgendwelche "Unregelmäßigkeiten" vor allem in Sachen Opfersteuern hatten zuschulden kommen lassen). All diese "Versager" wurden höchstoffiziell als so seitens des Gottes beabsichtigte Therapie ausgelegt. Man weiß darüber hinaus über die streng eingehaltene Trennung zwischen kultischer Handlung, also dem abstraktifizierenden Tun, repräsentiert im Therapeuten mit dem Zweck, den Kranken seinen Opfersteuern gleichwertig zu machen, ihn zur "bewusstlosen" Wertform zu präparieren, ebenso gut Bescheid, wie über die Weise des Gottes zu erscheinen und zu wirken, oder auch nicht – auf jeden Fall aber direkt als somnambules Erleben des präparierten und konservierten Patienten aus der numinösen Apersonalität und Anonymität in die Fundstelle eines Armut heilenden Schatzes bzw. eines Medikaments überzugehen.

Die Gattungszusammenhänge Wert und Gewalt, ersterer repräsentiert durch den Therapeuten, letzterer durch den Gott, waren also nicht nur peinlich voneinander getrennt. Sie gingen nicht einmal in der ihnen korrespondierenden Verdinglichung, sei es als Medikament, sei es als Schatz eine Verbindung ein, geschweige denn in der Krankheit selbst, in der die übersinnliche Gewalt des Werts seine Urheberschaft bei der Vermarktung des Menschen in Sachen Krankheit, als Substitut der Gattung Mensch, verraten hätte.

Aber gerade die Erzeugung der Wertform durch die geldgesteuerte Tauschhandlung, dieses Agens universaler Vermarktung, ist alles andere als von Gewalt getrennt.
So ist beispielsweise die Seele, nicht anders als das Geld, um nur die beiden wichtigsten und ursprünglichsten Verdinglichungen der Wertform zu nennen, als übersinnliche Gewalt konzipiert, d.h. gegen Zerstörung durch Druck und Stoß, Hitze und Hochspannung, wie überhaupt gegen jede Art und Gattung Naturgewalt gefeit.
Die Wertform wirft sich so als Macht über eben jene Gewalt auf, die sie zu ihrem Fortbestehen so nötig hat, wie nichts außerdem. Die Wesensverschiedenheit ihres Ursprungs, diese hat ihre Wurzel in der Natur, jene in der Gesellschaft, bleibt auch darin bestehen, daß sie sich ausschließen wie Feuer und Wasser.

Und der Sklave ist Rohstoff mit dem Widerspruch Ware zu bleiben, die zeitlebens gewaltsame Bändigung nötig hat, um der Wertform adäquat zu sein, ohne sich zum Wertding von der Bedeutung einer Seele zu vergegenständlichen.
Vergegenständlicht, Objekt, ist zwar, angesichts des Universalobjekts Tauschabstraktifizierung, auch der Warenbesitzer (für die Freiheit hat die Sprache des hellenistischen Altertums trotz "Demokratie" noch nicht einmal das Wort geprägt!), aber die ihn bändigenden Gewalten sind Krankheit und synonym Kultur. Zugleich ist Krankheit überall da, wenn auch in aller Entfremdung, Gewalt, wo sie über den unmittelbaren, von ihr geprägten Kultus hinaus kulturtragendes Fundament ist.

Den höchsten Wertdingen, Gott und Göttern, im Unterschied zum Geld lediglich gedanklich fassbaren Wertdingen, nicht nur gleich zu werden, nicht nur ihre Rolle zu spielen, sondern sie zu sein, und dies in jedem Augenblick, vor allem aber in demjenigen des physischen Todes – es ist ja das Wesen der äquivalent bezogenen Tauschhandlung, alles, einschließlich der Person zu abstraktifizieren – dieser Identifizierung im klinisch-psychopathologisch eindeutigen Sinn, die einem Alexander ("Ich bin Jupiter Ammon") ermöglicht, das Leben des Jupiter Ammon zu vergegenwärtigen, wie Krankheit die Einheit von Wert und Gewalt repräsentiert; Gott am Kreuz sterben lässt, weil der Gekreuzigte mit ihm Eins geworden ist, also zwei zuviel wären, dies höchste Wert-Ding schon immer war, die Äquivalenz also allen Grund hat, in die allgewaltige Wertform umzuschlagen – dies alles zeigt, wie und warum unter der Diktatur der kapitalistischen Geldwirtschaft Krankheit den ganzen kulturellen Überbau durchherrscht, eine bis heute nicht abgeschlossene Kultur-Konterrevolution in Permanenz statuiert, vor allem aber den gesellschaftlichen Menschen als unteilbare Gattung, als seiner Entfremdung mächtiges Individuum nur noch in Gestalt der revolutionären Kranken verwirklicht, die den Wesenswiderspruch zwischen Wert und Gewalt als kulturrevolutionäre Praxis reaktualisieren.

Ware und Wert voneinander getrennt zu halten, bzw. was dasselbe ist: Sklaven und Sklavenbesitzer, Seele und Staatsform Stein und rein zu halten, all dies sowohl in kultischer Praxis als auch in weltanschaulich-kulturschöpferischer Hinsicht: diese Elitefunktion im Interesse von entfremdender Wertform, alles und jedes ineinander und ins Gegenteil verkehrendem Äquivalenzprinzip, war sowohl Archeatrie als auch Iatrokratie. Beide gingen im Schein der Krankheit, wie sie Kultur begründete und durchherrschte, als integrierende Bestandteile auf. Sie sind zur Krankheit gehörig, denn diese zeigt sich selbst über die Jahrtausende hinweg noch immer als nicht nur flüchtige, sondern plastisch-modifizierbare Neben-Erscheinung, ganz im Gegensatz zu ihrem Wesen, heute bekannt unter dem Namen Gesundheitswesen.

Die frühkapitalistische Ära kennt – überspitzt ausgedrückt – keine Krankheit, sondern einzig die Folgeerscheinungen bzw. Nebenwirkungen: Magie, Hexen- und Teufelswerk. Was sie in der vorkapitalistischen Antike als substantialisierter Schein war, das ist Krankheit zwischen dem 14. und 16. Jahrhundert als tendenziell zur allumfassenden Substanz, zum Gattungssubstitut geronnenes Wesen.
Die Unterdrückten sind nicht mehr nur mit Haut und Haaren in Ware verwandelt. Als Leibeigene und "freie" Arbeiter sind sie darüber hinaus gespalten in zweierlei Leben, also gar keins: in die Ware Arbeitskraft, um sie als ihren Besitz zu entäußern und wenn möglich zu "kapitalisieren", und in die unveräußerliche Lebensgrundlage dieser Ware Arbeitskraft. Ihr Leben ist also ebenso wenig individuelles Leben oder gar Konkretisierung der unteilbaren Gattung durch jeden Einzelnen. Noch weniger als im Sklavenhalterstaat der Antike. Es ist ein in "produktive und unproduktive Konsumption" gespaltenes Leben. Das Resultat der einen ist das Leben des Kapitalisten, das der anderen ist das Leben des Arbeiters selbst (K. Marx). Das in die Zerrissenheit seiner Spaltprodukte "atomisierte" Leben strebt, jeder Teil für sich, in entgegengesetzte Richtungen auseinander.

Analog den Warenbesitzern der Antike sind es aber auch und eben die Unterdrückten am Übergang "Mittelalter-Neuzeit", die partikularisiert sind. Gleichzeitig sind sie dank körperlicher Einübung des Lohnsklaventums und zwar durch Vermittlung des Wertgesetzes, beginnend mit dem ersten Atemzug, Teilhaber, Synergisten und – wenn man will – Komplizen der abstraktifiziereden Tauschhandlung.

Wie aus dieser in den antiken Sklavenhaltergesellschaften die Psyche, entsprechend der im Geld verdinglichten Wertform hervorging, so nehmen nun auch die Unterdrückten dieses unvergängliche Überall-und-Nirgends, Immer-und-Nie für sich in Anspruch. Dies ist, nebenbei bemerkt, aus der Sicht der Herrschenden ein Akt der Rebellion, und ihre Geschichtsbücher verzeichnen Hexenverbrennungen und Glaubenskriege. Und selbstverständlich – beim damaligen Stand der ideologischen Abwehrmechanismen – wurden (seitens der Herrschenden) diese Seelen als Teufelsprodukte geächtet bzw. diffiziler: auf dem Scheiterhaufen, der ihnen "nur" den lebendigen Körper entzog, vor dem Teufel errettet. Bei Heiden stand von vornherein fest, daß sie seelenlos und des Teufels waren.
Zur Systematik von Krankheit aber gehört ganz entschieden die Aufgipfelung der Psyche zu einer magischen Macht (krankmachenden und tötenden Gewalt) in Verbindung mit Praktiken, die unverkennbar das Gepräge des universal-abstraktifizierenden Subjekts aufweisen, Praktiken, die verhältnismäßig spät unter der Bezeichnung sympathetische Kuren, Mesmerismus und tierischer Magnetismus im Umfeld der im Ergebnis bürgerlichen Revolution salonfähig wurden. Man setzt ein Bild, den aus plastischem Material und dergleichen modellierten Körper dessen, der Objekt der magischen Prozedur werden soll, in äußerster Konzentration, d.h. unter Absehung von allen sonstigen Erfahrungsinhalten, dem Erinnerungsbild des Betreffenden gleichwertig, so lange, bis auch diese Bewußtseinsinhalte im Gesamteindruck der Werteinheit verschwinden.
Mit anderen Worten: es handelt sich darum, das, was bei jedem Warenkauf bzw. -verkauf automatisch und unbeachtet vorgeht, daß nämlich der Käufer bzw. Verkäufer gezwungen ist, sein Interesse an Gebrauch, Art der Tauschgegenstände, Ort und Stunde zu übergehen, einzig auf den Wert konzentriert zu sein, damit die Transaktion zustande kommt, dies alles wird als Suggestion in der magischen Prozedur sozusagen ins Werk gesetzt. Und die in jedem Gesellschaftsfähigen tief verankerte Beeindruckbarkeit durch alles, was auch nur entfernt physiognomische Züge des universalen Zaubermittels Geld aufweist, scheint zu teilweise frappierenden Resultaten geführt zu haben, die noch heute Gegenstand bürgerlicher Forscher-Akribie sind, weil sie mit Physik, Psychologie, Statistik, Sozio- und Ethnologie usw. nichts, umso mehr aber mit der Defektmutation Mensch zu tun haben, die es wissenschaftlich zu ignorieren gilt.
Die Vasallen verkaufen ihre Arbeitskraft den Herrschenden, aber das Substrat, sich selbst, d.h. das, was sie in Übereinstimmung mit den Herrschenden und gegen deren Monopolanspruch Seele nennen, dem Teufel. Der Magie von Gold und Gott (des alles beherrschenden Geldes) setzen die Unterdrückten diejenige von Seele, d.h. verdinglichtem Substrat der Ware Arbeitskraft und Teufel entgegen.

Im Unterschied zum Vorkapitalismus der Antike ist das Phänomen Krankheit durch sein Wesen, nämlich Wert und Gewalt, so weitgehend verdeckt, daß es, incognito versteht sich, bei Teufels-Austreibungen beispielsweise für den Unternehmer Kirche zu einer wahren Gold- und Prestigegrube wurde, dasselbe Phänomen, das zu Beginn der Aufklärung explizit als die Ware Krankenbehandlung vom Teufel auf die Ärzte überging.
So wurde die Ärzteschaft vom Teufel beerbt.

Ärzte galten und wirkten nicht mehr als kultische Mittler, wie die Mönch-Therapeuten der Antike. Sie hielten Mensch wie Tier für beseelt – eine Konzeption, die aus dem Entwurf Arbeitsmaschine (L´homme machine) nur allzu konsequent ist – und zwar für magnetisch und magnetisierend. Weil Seele ihrem Wesen nach abstrakter, mehrfach entfremdeter Gedanke, nämlich verdinglichter Reflex des Wertdings Geld ist, kann sie sich nur im Kontext mit einer Tauschhandlung reaktualisieren. Der Ausdruck "Überzeugung" umschreibt die tatsächlichen Vorgänge und Resultate suggestiver als der wissenschaftliche Ausdruck Suggestion selbst, nimmt man ihn wörtlich, weil er nicht nur auf das "Übersinnliche" als banale Gegebenheit einer ganz auf Äquivalententausch gestellten, bewusstlos, gedankenlos zaubernden Tauschgesellschaft deutet, sondern ausdrücklich auf eine zentrale Kategorie des Gattungsprozesses abhebt.

Ob nun aber Magnetismus oder Dyskrasie, naturhaft rohstoffartige Energieform oder sublime kultische Macht, ob vulgarisierte Wertform oder Gewalt des Demiurgen: keine dieser Seiten und Momente, obgleich jeweils mit dem Anspruch, Krankheit zu erzeugen wie zu heilen, versehen, erfüllt die Erfordernisse des Begriffs, das Wesen in der Erscheinung zu reflektieren. So wird beispielsweise im Gattungsprozess die Vereinheitlichung nur der Erscheinung nach erreicht, das seinem Wesen nach singuläre Prinzip Gattung erscheint in der Zygote (befruchtete Eizelle), ohne jedoch insgesamt Auseinandersein, Uneinheitlichkeit, Entäußerung und Spezifizierung zu überwinden.
Der Hinweis auf Gattungsprozess und Überzeugungsmetaphorik liegt also nicht auf der Ebene einer Ableitung des Krankheitsbegriffs aus dem Bisherigen, sondern ist als Vorwegnahme zu verstehen. Im bisherigen nämlich waren die Begriffe Wert und Gewalt das äußerste an Verallgemeinerung, was sich im geschichtlichen Umfeld von Krankheit zeigte. Es war aber Numinoses (Götter) nötig, um das abzuspiegeln, zu reflektieren, was sich an Hand der Versklavung nur allzu leicht als Gewalt in durchaus naturhaft-pekuniärem Rohzustand zu erkennen gab; und das ohne weiteres als Produkt der Entwicklungsgeschichte einer Gesellschaft identifizierbare Phänomen Wert ist als Reflex des animalischen "tierischen Magnetismus" ganz und gar der Natur zugeordnet, wo es begründetermaßen weder Sache von Göttern noch Naturerscheinungen, sondern Sache des Begriffs wäre, beide Momente widerzuspiegeln, genau: Sache des Krankheitsbegriffs.

Dabei ist Krankheit die Seite der Erscheinung, der Begriff Gattungsallgemeinheit Wesen. Er wird durch die für den Krankheitsbegriff spezifischen Inhalte Gewalt und Wert bestimmt, die zugleich ihre Wesensmomente sind.

 

´73 - ´75, Zz, 7/752

Huber PF/SPK(H) WD, Dr.med.

Aus SPK-Dokumentation Teil 3, 1. Auflage 1977