PATIENTEN-INFO Nr. 33

Ach Deutschland, Deine Mörder …

Aus: SPK-Dokumentation II

Bekanntlich machen sich die Herrschenden bei direktem Polizeieinsatz unbeliebt. Sie können aber mittlerweile auf solche groben Maßnahmen verzichten. Durch ihre permanente Hetzkampagne (Presse, Radio, Fernsehen etc.) gegen unbequeme Minderheiten, die die Widersprüche des Systems erkannt haben und entsprechend konsequent handeln, hat sich die Staatsgewalt bei unseren Bundesbürgern so tief verinnerlicht, daß direktes Eingreifen von Polizei und sonstiger institutioneller Ordnungs"fürsorger" überflüssig wird. Immer mehr Bundesbürger werden zu bewußtlosen, automatisch ausführenden Organen der Obrigkeit. Das gesunde Volksempfinden nimmt der herrschenden Klasse die schmutzige Arbeit (Polizeiaktionen) ab. Somit zeigt sich der Analcharakter der herrschenden Saubermänner, die dadurch ihre Hände in "Unschuld" waschen können.

Am Sonntag, dem 21.3.1971 um 18.00 Uhr ging im Sozialistischen Patientenkollektiv eine telefonische Morddrohung gegen den SPK-Zugehörigen Wolfgang Huber ein. Der Anrufer bekundete seine Absicht, Huber innerhalb dieser Woche zu erschießen, falls nicht dafür Sorge getragen wird, daß seine Tochter (SPK-Zugehörige) das SPK verläßt und nach Hause zurückkehrt.

Diese Morddrohung hat ein progressives und reaktionäres Moment. Progressiv, insofern sie Protest beinhaltet. – Protest gegen die bestehende kannibalische Produktionsweise, Konkurrenzprinzip – die Großen fressen die Kleinen auf (wie zu erfahren war, machte die Firma des Anrufers letzte Woche Pleite). Reaktionär, insofern sich der Protest gegen diejenigen richtet, die sich gegen diese krankmachenden, kannibalistischen Verhältnisse wehren und sich im SPK organisiert haben, anstatt diejenigen zu bekämpfen, die für diese Verhältnisse verantwortlich sind.

Die Parallele zum Fall Dutschke ist eindeutig! Schon damals hatten die Herrschenden einen "freiwilligen" Vollstrecker ihrer Hetzkampagnen gefunden. Indem die Herrschenden den Attentäter verurteilten, verurteilten sie sich selbst. In seiner Morddrohung folgt der Anrufer der Politik des Kultusministers Hahn und der Medizinischen Fakultät. Kultusminister Hahn hat die Öffentlichkeit mehrmals zu einem Kesseltreiben gegen das SPK aufgerufen:

- Kultusminister Hahn in seinem Erlaß vom 18.9.1970: "Es ist umgehend dafür Sorge zu tragen, daß die Räume in der Rohrbacher Str. 12 von Dr. Huber geräumt werden!"

- Kultusminister Hahn im Südwestfunk: "Die Patienten des SPK müssen umgehend der Behandlung zugeführt werden, die sie verdienen und die sie brauchen." Also, Landesanstalt Wiesloch.

- Kultusminister Hahn in seiner Sprechstunde vom 9.11.1970: "Das SPK ist Wildwuchs, der schleunigst beseitigt werden muß."

Zahlreiche, gegen das SPK gerichtete Hetzkampagnen in der Presse durch die Medizinische Fakultät, vornweg die Psychiater:

- "Antitherapeutisches Haß- und Aggressionskollektiv" (v. Baeyer)

- "Irrationale Meinungsepidemie" (Häfner)

Tellenbachs Artikel in der RNZ vom 16.11.1970, Engelkings Artikel in der RNZ vom 26.11.1970, Häfners Artikel in der RNZ vom 21.2.1970,

- "Extreme Gruppe von Außenseitern (die) ihre egoistische und sektiererhafte Dynamik zu verschleiern sucht …" und "fragwürdige Gruppe", so Österreich in der RNZ vom 18.7.1970.

Der Anrufer folgt weiterhin der Logik der bürgerlichen Führerideologie, durch die Presse vermittelt, von Kultusminister und Medizinischer Fakultät vertreten, die mehrfach vom "Huber-Kollektiv" gesprochen hatte. Der Anrufer vergißt jedoch, daß trotz der Ermordung einer SPK-Zugehörigen das SPK weiterarbeiten wird. Denn das SPK ist eine Selbstorganisation von Patienten, deren Arbeitsweise lautet: Von der Peripherie zum Zentrum, von der Basis zur Spitze. Das bedeutet den Abbau jeglicher Abhängigkeitsverhältnisse. Somit trifft die Fixierung auf den SPK-Zugehörigen Dr. Huber allein auf die Gegenseite (Kultusminister, Medizinische Fakultät) zu, wie ja aus ihren zahlreichen Veröffentlichungen zu ersehen ist. Also müßte der Anrufer alle SPK-Zugehörigen erschießen.

Ergreift die Universitäts-Spitze (Rektorat, Verwaltungsrat, Senat) weiterhin nicht die notwendigen Maßnahmen für die endgültige Institutionalisierung des SPK, so macht sie sich verantwortlich für zukünftige Mordanschläge gegen SPK-Patienten.

Spätestens durch solche Drohungen und deren Vollstreckung zeigt sich, wie die herrschende Ideologie zur materiellen Gewalt wird. Jeder, der kritiklos RNZ, BILD liest und fernsieht, wird somit zum potentiellen Attentäter, der entsprechend der ihm eingeimpften Ideologie zu einer solchen Handlung verführt wird.

Es zeigt sich darin aber auch mit aller Deutlichkeit, daß der Kampf gegen die ausbeutende Gesellschaftsordnung schon längst begonnen hat!

Wer jetzt nicht konsequent handelt, macht sich zum Handlanger der Faschistenherrschaft.

"Die Wahrheit der Absicht liegt in der Tat." (Hegel)

"Man muß so radikal sein, wie die Wirklichkeit." (Me-Ti, Brecht)

 

24.3.1971

SOZIALISTISCHES PATIENTENKOLLEKTIV

an der Universität Heidelberg

 

PF/SPK(H), 10.06.2015