Marx im Käfig / Milchkuh für ‛n Kongreß

Patientenfront dagegen tätig / für die Uni Kränk und Stress *

 

Gestern, Samstag, 21. Mai 2011, ist es Frontpatienten der Patientenfront / Sozialistisches Patientenkollektiv, PF/SPK, gelungen unter großer Zustimmung der Anwesenden etwa 200 Informationsblätter zum Thema Iatro-Imperialismus beim Marx-Kongreß an der Berliner Humboldt-Universität zu verteilen. Dies, obwohl die Universität schon kurz nach Beginn versucht hatte, die Informationsverbreitung zu verhindern. Eine Beauftragte der Universität wörtlich: Ihr hättet doch wenigstens eine kleine verfickte E-Mail zur Anmeldung schicken können (= Ablenkung und Reinlegeversuch: sich anmelden heißt abgelehnt werden, hat uns ein ML-Maoist aus eigener Erfahrung später berichtet).

Frontpatienten: Das Thema des Kongresses ist Marx. Marx, auf der Höhe der Zeit, das ist:
Grundwiderspruch heute: Krankheit – Kapitalismus.
Hauptwiderspruch heute: Patientenklasse gegen Ärzteklasse.
Revolutionäres Subjekt heute:
die Krankheit unter der Bestimmung Patient, kosmisch-soziale Revolution, Utopathie; die Klasse der Frontpatienten gegen die herrschende Ärzteklasse.

Das ist wichtig für alle. Von Ärzteherrschaft (Iatro-Imperialismus) sind alle betroffen. Wir haben Ihnen jetzt gesagt, wer wir sind und worum es bei uns geht. Dann sind wir hiermit angemeldet.

Es folgten Versuche der Wachleute, uns einzuschüchtern ("Ich hole Verstärkung"), Vertreibung vom Uni-Gelände und Einsatz der Polizei (ohne preußische Pickelhaube, aber mit offenem Mund als wir sie anschrien: Ihre Kollegen haben eine Patientin auf dem Arbeitsamt erschossen!), Polizei-Einsatz draußen, auf dem für alle öffentlich zugänglichen Gehweg, wo wir mit dem Verteilen der Informationsblätter weitermachten. Vorwand: Strafanzeige durch den Uni-Präsidenten wegen "Hausfriedensbruch", was der Sache nach eine falsche Verdächtigung und Nötigung gegen uns ist.

Die Frontpatienten wurden vom Universitätsgelände vertrieben. Die Ärzteherrschaft (Iatro-Imperialismus) ist geblieben. Oder sind, kaum waren wir weg, auch die Strahlenkanonen gegen Krebskranke verschwunden, ist das euthaNAZIstische Morden in den Altersheimen gestoppt, das Gemetzel auf den Operationstischen samt Organraub?!

... da rettet Euch kein höh’res Wesen
kein Marx, kein Engels, kein Nepp-tun
Euch von dem Übel zu erlösen
müßt schon selbst Ihr an Euch tun

Die Universität, auch die Humboldt-Universität, wird von allen durch ihre Steuern finanziert. Alle sind krank, jeder bezahlt Krankenkassenbeiträge. Die Universität setzt ihre Gelder und Mittel gegen die ein, von denen sie lebt. Das kann die Universität nur, solange die steuerzahlende, kranke Bevölkerung dies duldet und mit sich machen läßt. Aber: Patienten – und das sind Sie und Du und alle! – duldet es nicht länger!, sondern: Aus der Krankheit eine Waffe machen! Denn Krankheit ist eben nicht Leiden, sondern: Protest, Rebellion, Angriff.

Der Präsident der Humboldt-Universität ist zu erreichen unter:
Telefon: +49 (0)30 2093-2100 / Fax: +49 (0)30 2093-2729
E-Mail: praesident(a)uv.hu-berlin.de

Die Kongreßveranstalter: Prof. Rahel Jaeggi, E-Mail: rahel.jaeggi(a)staff.hu-berlin.de
Dr. Daniel Loick, E-Mail: loick(a)em.uni-frankfurt.de

Hier das Informationsblatt, das wir gestern verteilt haben und weiter verteilen:

Aus dem Vorwort zur englischen Ausgabe von
SPK - Aus der Krankheit eine Waffe machen (1993)

Iatro-Imperialismus

Auf der Höhe der Zeit zu sein, bedeutet heute das Folgende: Die größte Industrie ist nicht länger das, was Waffen, Computer, Autos oder für die Raumfahrt produziert. Die größte Industrie heutzutage ist jene, die vorgibt, Gesundheit zu produzieren, d.h. etwas das nie existiert hat und das es auch nie geben wird, es sei denn als Illusionsprodukt, aus dem der Nazismus in all seinen vergangenen und künftigen Spielarten wächst (HEILwesen). Der Kapitalismus zieht seinen größten Profit aus dieser Spitzenindustrie und der Tag ist nicht fern, an dem die eine Hälfte der Bevölkerung der westlichen Welt entweder in Kliniken beschäftigt sein oder dort anders, d.h.: als Arzt-Patient, die andere Hälfte, ausgebeutet wird. Rotationssystem. Zum Spaß? Nur für seine jeweiligen planetarischen Herrscher (um Himmels Willen!) oder Sternenherrscher.

Der Leser der folgenden Seiten ist deshalb keineswegs aufgefordert, den Ausdruck Klassenantagonismus für nichts als ein marxistisches Fossil zu halten. Wahrlich, Hegel, der berühmte Vorgänger von Marx, erwartete ein Verschwinden des Klassenantagonismus auf Grund der Kolonisation, betrieben von der aufsteigenden Bourgeoisie des 19. Jahrhunderts. Aber schon lange ist der Klassenantagonismus zurückgekehrt, nicht in die Fabriken, regiert von den Gewerkschaften und den Bossen, sondern in die Kliniken, regiert von den Ärzten, die die Patienten unterwerfen und ausbeuten und die illusionäre Ware Gesundheit produzieren in all diesen Fabriken, ungeachtet aller gewerkschaftlichen, ungeachtet aller Guerilla-Aktivitäten.

Allgemeiner: Krankheit als Gattung, um die Menschengattung zu schaffen oder medizinische Spezialisten, um sie für immer zu zerstören (die MenschenGATTUNG gegen deren Zerstörungs- und EndlösungsKLASSE), das ist der Klassenantagonismus heute und das einzige wirkliche Problem, das es zu lösen gilt.
Noch einmal: Patienten mit Gattungsbezug gegen Fachidioten jeder Sorte.

Diejenigen, die vorgeben, der Klassenantagonismus sei seit langem verschwunden und nun müsse schnellstens die menschliche Gattung gerettet werden (was muß gerettet werden? Gegen wen und gegen was muß was gerettet werden?!), solche wie Gorbatschow und Dutschke ebenso wie Francis Fukuyama, die das Wort `Gattung` gelegentlich erwähnen, hatten weder mit dem Problem noch mit der Lösung etwas zu tun, aber der alte Hegel vielleicht. Es ist daran zu erinnern, daß für Hegel es ausschließlich Krankheit ist, die Gattung auf dem Niveau der Menschheit repräsentiert und ebenso, weil dialektisch, das Scheitern der Gattung. Es ist mit Hegel also völlig klar, daß das Glücken der menschlichen Gattung mit dem Wie von Gemeinschaften verbunden ist, während das Scheitern der menschlichen Gattung, erlitten von der jeweiligen Einzelperson, mit dem Medizinsystem zusammenhängt, das, horribile dictu, selbst für alle Zeiten zum Scheitern verdammt ist, seit seinem Anbeginn, denn, in Hegels Worten, buchstabiert in meiner Weise: "Krankheit ... das INDIVIDUUM, sich gleichsam mit sich selbst beGATTEND", hinzuzufügen: ... unTEILbar unHEILbar.

Auch Imperialismus gibt es weiterhin. Und wie! Und wo! Inzwischen kann man die geographischen Landkarten vergessen, mit denen dieser Ausdruck in den Büchern von Marx und Lenin verbunden ist, und auch alles über (fukuyamatische Ende-der-Geschichte) Freiheit und Totalitarismus, Diktatur und Demokratie.

Nimm die medizinische Landkarte und sieh dein Gehirn kolonisiert und beherrscht von Namen (und den zugehörigen medizinischen Methoden!) wie Parkinson, Alzheimer, Bleuler und so weiter, deinen Magen von Billroth, deinen Hals mit der Schilddrüse von Basedow, deine Muskeln und dein (vielleicht so genannt hysterisches) Verhalten von Charcot und Freud und bring das in Verbindung mit dem, was die Marxianer über Imperialismus geschrieben haben - damals noch weit entfernt von einem so genannten Freien Markt, ein Imperialismus rund um die Organbank heute. Ein Imperialismus, der z.B. heute mit den Organen von Kindern handelt, ebenso wie weit entfernt mit Ländern und Völkern, wie in den marxistischen Büchern festgehalten.
In noch früheren Zeiten gab es astrologische Landkarten, in welchen der Herrscher deines Gehirns Namen trug wie Mond (Luna) oder Krebs, der Herrscher deiner Muskeln Mars und so weiter. Jene alten Namen, die nichtsdestoweniger immer noch vorhandene Einfallstore und Wechselbanken für andere Dämonen und Teufel repräsentieren, besitzend und besessenmachend, mit Interesse am Imperialismus, aber Feinde jeder Revolution, die beides, nämlich Kosmisches und Soziales betrifft, gewiß (kosmisch-soziale Revolution).

In Zukunft wird es immer mehr Gruppen geben, von spezifischen Kräften der Krankheit gebildet, die wirkliche In-dividuation entwickeln (MFE). Eine spezifische Krankheitskraft ist die Manie, die, wird sie kollektiv entwickelt, wie eine musikalische Spezies wirkt (Musikgattungswesen, nicht harmlos), die alle Disziplin durch Transzendenz tötet. Genauso wie ein Kollektiv, das seine selbstgewählten Körpersüchte entwickelt, eingeübt Körper für Körper, denn dann ist Sucht eine tödliche Waffe gegen alle Drogen und Arznei, indem sie alle Körper in eine wohltemperierte Gattung verwandelt (Wärmekörper, wild), also durch Immanenz. Kann man eine Melodie, kann man Wärme, eine Krankheit oder eine andere Gattung teilen? Natürlich nicht, denn solche Individualitäten sind entweder Individuen oder teilbar, folglich keine Individuen.
Vielleicht haben Plato und Bergson vergessen, dies in der Vollständigkeit zu erwähnen, wie sie jetzt nötig ist, um fähig zu werden zum Tun, und Pluto, Unwägbares zu Gewichtigem, Gewicht zu Unwägbarkeit gruppierend, ist deshalb jetzt wütend über sie und greift zu Erdbeben.

Macht Gebrauch von eurer eigenen Erfahrung über Krankheiten und setzt Phantasie in Aktion.

Das ist gemeint, wenn es darum geht, auf der Höhe der Zeit zu sein. Aus der Krankheit eine Waffe machen, ist der erste Blick auf eine herzustellende Zukunft, befreit von (Endlösungs-) Namen, Herrschern, Gesundheitsfabriken und so weiter. Wir nennen sie Utopathie.

Der Westen ist tot
Denn Krankheit bleibt rot

Let's go west
Gold' illness dawns best.

Huber

 

11 x KRANKHEIT

aus: SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen

 

1) Krankheit ist Voraussetzung und Resultat der kapitalistischen Produktionsverhältnisse.

2) Krankheit ist als Voraussetzung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse die Produktivkraft für das Kapital.

3) Als Resultat der kapitalistischen Produktionsverhältnisse ist Krankheit in ihrer entfalteten Form als Protest des Lebens gegen das Kapital die revolutionäre Produktivkraft für die Menschen.

4) Krankheit ist die Form, unter der "Leben" im Kapitalismus allein möglich ist.

5) Krankheit und Kapital sind identisch: In dem Umfang, in dem totes Kapital akkumuliert wird – ein Vorgang, der mit Vernichtung menschlicher Arbeit, sogenannter Kapitalvernichtung, Hand in Hand geht – nimmt die Verbreitung und Intensität von Krankheit zu.

6) Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse beinhalten die Verwandlung lebendiger Arbeit in tote Materie (Waren, Kapital). Krankheit ist der Ausdruck dieses ständig weiter um sich greifenden Prozesses.

7) Krankheit ist als verschleierte Arbeitslosigkeit und in der Form der Sozialabgaben der Krisenpuffer im Iatrokapitalismus.

8) Krankheit ist in ihrer unentfalteten Form als Hemmung das innere Gefängnis des Einzelnen.

9) Wird Krankheit der Verwaltung, Verwertung und Verwahrung in den Institutionen des Gesundheitswesens entzogen, und tritt sie in Form des kollektiven Widerstands der Patienten in Erscheinung, so muß der Staat eingreifen und das fehlende innere Gefängnis der Patienten durch äußere, "richtige" Gefängnisse ersetzt werden.

10) Das Gesundheitswesen kann mit Krankheit nur unter der Voraussetzung der totalen Rechtlosigkeit der Patienten umgehen.

11) Gesundheit ist ein biologistisch-nazistisches Hirngespinst, dessen Funktion in den Köpfen der Verdummer und Verdummten dieser Erde die Verschleierung der gesellschaftlichen Bedingtheit und gesellschaftlichen Funktion von Krankheit ist.

 

Sozialistisches Patientenkollektiv, SPK(H):

SPK – Aus der Krankheit eine Waffe machen
Eine Agitationsschrift des Sozialistischen Patientenkollektiv an der Universität Heidelberg.
Mit einem Vorwort von Jean-Paul Sartre

KRRIM – PF-Verlag für Krankheit
6. erweiterte Aufl. 1995, ISBN 978-3-926491-25-1, 168 S., EUR 11.-

 

Kränkschriften erhältlich bei (u.a.):

Schwarze Risse – Kastanienallee

Der kleine Buchladen – Rosa Luxemburg Platz

oh 21 – Oranienstraße

M99 – Manteuffelstraße

Schwarze Risse – Mehringhof

Rumpsti Pumsti – Falckensteinstr. 46 (Hof)

 

SPK/PF(M), Postfach 620 668, 10796 Berlin

www.spkpfh.de

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* Unsere Aktivität nach kollektiver Diskussion (die werfen uns raus – wir kommen wieder):
am Sonntagmorgen, 22. Mai 2011, nochmal vor Ort, diesmal mit dem aktualisierten Flugblatt (1.30 Uhr war es fertig).

Einer sprang vom Fahrrad: kann ich das Flugblatt haben? Schmunzelt erst, dann Strahlen übers ganze Gesicht. "Marx im Käfig, Milchkuh für ‛n Kongreß, das triffts genau!"

Weitere Kommentare:

"Das war ja furchtbar! Furchtbar war das gestern!"

"Sooo langweilig".

"Einer wollte Marx kaputtmachen mit Zitaten von Marx selber".

"Die Uni hat sich Euch gegenüber verhalten wie das römische Imperium mit seiner Unterdrückungsarmee. Aber Rom wurde schließlich auch zerstört, wenn auch nicht an einem Tag".

"Ja, Ihr habt recht. Daß die Menschheit endlich Mensch wird, das ist bei Marx immerhin schon angelegt. Und daß Schluß gemacht wird damit, daß es die oben und die unten gibt, und daß sich die unten nichts mehr gefallen lassen. Deshalb wurde auch Marx verfolgt, weil er die Wahrheit gesagt hat".

"Mir wollten sie Prostatakrebs diagnostizieren. Ich sagte zu dem Arzt: Vielleicht haben Sie selber den Krebs? Ich laß mir doch nicht von Ihrer Strahlenkanone meine eigene Scheiße in die Prostata schießen! Ich geh zu keinem Arzt mehr. Alles nur Profitmacherei, und der Patient geht dabei drauf!"

Der Protest hat inzwischen auch schon den Uni-Präsidenten erreicht.

 

Montag, 23.05.2011

Stellungnahmen, unter anderem aus Buchläden:

"Ein Eklat durch die Uni."

"Ich kenne Leute von der veranstaltenden Fakultät. Die werde ich damit konfrontieren. Das interessiert mich brennend, was die dazu sagen werden."

"Auf der Internetseite zum Kongreß stand: Teilnahme kostenlos. Eine Anmeldung ist nicht notwendig. Alle sind willkommen. Und dann Wachleute und Polizei gegen Euch!!"

 

SPK/PF(M), PF/SPK(H), 24.05.2011

Vor einem Jahr: Marx im Käfig. Heute: Uni-Präsident hinter Gittern?