Aus aktuellem Anlaß (Berlin, Mannheim, Frankfurt ... ):

Strafanzeige gegen Polizei-Arzt wegen Patiententötung


Nicht alle schlucken alles. Man kann auch etwas tun.

Die Zeiten der Diskussion sind vorbei. Die unterste Angriffsebene ist die gerichtliche Ebene. Hier ein Beispiel.

 

An die
Staatsanwaltschaft
beim Landgericht München
Linprunstraße 25

80335 München

8. Januar 1999

Hiermit erstatte ich

S t r a f a n z e i g e

und stelle

S t r a f a n t r a g

gegen den verantwortlichen Polizei-Arzt im Zusammenhang mit der Polizeiaktion am Samstag, dem 28.11.1998, bei der die Brüder Robert und Leon T. in München erschossen wurden.

Aus Zeitungsberichten zu oben genanntem Vorfall habe ich entnommen, daß am Samstag, dem 28.11.1998, in München die Brüder Robert und Leon T. von einer Polizistin erschossen wurden, angeblich in Notwehr.

Laut Zeitungsbericht hatte Herr Leon T. die Polizei in seine Wohnung gerufen, und dabei angegeben, daß sich sein Bruder Robert die Pulsadern aufschneiden wolle. Der Polizei war also bei ihrem Einsatz von Anfang an bekannt, daß es sich bei Herrn Robert T. um einen Patienten handelte. Denn wer seinem Leben, aus welchen Gründen auch immer, ein Ende setzen will, bei dem liegt eine sogenannte Selbstgefährdung vor und der gilt demzufolge als krank. Dies mußte auch den am Einsatz beteiligten Polizisten bekannt sein und zwar schon bevor sie Herrn Robert T. persönlich angetroffen hatten.

Herr Leon T. hatte die Polizei gerufen, damit diese verhindern solle, daß sein Bruder Robert sich umbringt. Hätte Herr Leon T. gewollt, daß sein Bruder Robert stirbt, so hätte er ihn gewähren lassen, als dieser damit begann, sich die Pulsadern aufzuschneiden. Auch Herr Leon T. wollte nicht sterben, als er die Polizei anrief. Jetzt sind beide tot, Leon und Robert T.

Aus den Zeitungsberichten geht hervor, daß seitens der schon vor Ort angelangten Polizisten Verstärkung angefordert wurde. Nichts habe ich aber darüber gelesen, daß ein Polizei-Arzt angefordert worden wäre, geschweige denn, daß sich ein solcher schon zu Beginn des Einsatzes vor Ort befunden hätte. Das aber wäre zwingend geboten gewesen!

Die Person, deretwegen die Polizei gerufen wurde, befand sich offensichtlich in einem Ausnahmezustand. Er war Patient, sogar Notfall-Patient, um den sich somit ein Arzt zu kümmern hatte. Die Bewältigung von medizinischen Notfallsituationen übersteigt die Kompetenz von Streifenbeamten bei weitem. Es war also dringend ein Arzt gefragt, und das war im vorliegenden Zusammenhang eines Polizeieinsatzes zweifellos der zuständige Polizei-Arzt.

Der Polizei-Arzt ist in erster Linie Arzt und als solcher laut Berufsordnung, Standesrichtlinien und hippokratischem Eid dem Patienten und niemandem sonst verpflichtet. Aus Sicht der Polizei galt Herr Robert T. vielleicht als Störer, Einzufangender, im Interesse von "Sicherheit und Ordnung" gegebenfalls auch zu Erschießender. Für den Arzt aber war er Patient, sein Patient, für dessen Wohl und Wehe er, der Arzt, verantwortlich war, den er zu schützen hatte, notfalls - und dieser Notfall lag hier allerdings vor! - auch gegen die Polizei.

Für Geschehensabläufe wie den vorliegenden ist der Polizei-Arzt verantwortlich. Er ist genauso verantworltich, wenn er sich nicht blicken läßt, gleichermaßen verantwortlich, ob er am Einsatz vor Ort beteiligt ist oder nicht. Er ist es, der den Einsatz leitet und das Vorgehen bestimmt, egal, ob er direkt dabei ist oder abwesend und zuvor schon per Blanko-Einverständniserklärung den Polizisten freie (Schuß-)Hand gegeben hat, bis hin zur Tötung des Patienten.

Der Polizei-Arzt hat von Gesetzes wegen eine sogenannte Garantenstellung. Das heißt: der Arzt muß dafür Sorge tragen, daß die Polizei, die mit einem Kranken zu tun hat, mit diesem auch entsprechend seiner Krankheit umgeht. Das heißt: ist jemand erkennbar krank, was im Vorliegenden bei Herrn Robert T. der Fall war, so ist allein diese seine Krankheit ausschlaggebend für das weitere Vorgehen. Gesichtspunkte der Strafverfolgung, Fragen der Sicherheit und Ordnung und dergleichen mehr sind in diesem Moment außer Kraft. Krankheit bricht das staatliche Gewaltmonopol. Der Vorrang der Krankheit vor Gesichtspunkten der Strafverfolgung und der sog. Gefahrenabwehr gilt nicht nur in Situationen wie der Vorliegenden. Der Vorrang der Krankheit gilt auch beispielsweise bei Gericht, wo niemand für seine Taten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden kann, wenn er sich dabei in einem Zustand der Krankheit befand. Er wird von strafrechtlicher Verantwortung freigesprochen, er wird nicht verurteilt.

Allen am Einsatz Beteiligten war klar, daß es sich um einen Patienten handelte, weshalb die Polizei gerufen worden war. Für Kranke erklären sich aber gemeinhin ausschließlich die Ärzte für zuständig. Also war hier der Polizei-Arzt zuständig und verantwortlich.

Ich halte die Sache für bedeutsam über den Einzelfall hinaus, weil es alle angeht. Krankheit, in welcher Form auch immer, ist heutzutage für uns alle zum Normalzustand geworden. Wieviele können nur noch mit Hilfe von Beruhigungsmitteln ihren Alltag bewältigen, wieviele nur noch mit Aufputschmitteln die von ihnen verlangte Arbeit verrichten, beides vom Arzt Jahr um Jahr weiter verschrieben, nicht davon zu reden, daß in Familien, Büros und Amtsstuben weithin "König Alkohol" regiert, denn wer Sorgen hat, hat auch Likör. Also (Selbst-)Therapie allenthalben, es geht nicht mehr ohne.

Auch der nun getötete Robert T. war in (psychiatrischer) Behandlung gewesen, mehrfach. Von ähnlichen Vorfällen, wie dem am 28. November 1998 wird aus der Vergangenheit berichtet. Man hat den Eindruck, es handelte sich dabei um die berüchtigte "Drehtürpsychiatrie", ein beschönigender Ausdruck dafür, was de facto therapeutischer Bankrott der Ärzte ist.

Was den Ärzten nicht gelang, hat nun die Polizei geschafft. Herr Robert T. ist "geheilt". Er wird niemanden mehr stören oder beunruhigen oder bedrohen. Aber, wie schon ausgeführt, auch dieser therapeutische Eingriff erfolgte nach ärztlichem Rezept: Man nehme einen Polizei-Arzt, der in aller Verantwortungslosigkeit alles veranwortet, das sozusagen gute Gewissen schwebend über "Notwehr", "Todesschuß" und "Verkettung bedauerlicher Umstände". Das Nähere regelt dann auch hier ein Gesetz, nämlich das Gesetz des "Wer-zuerst-schießt-lebt-länger".

Weder Herr Leon T. noch Herr Robert T. hätten sterben müssen. Auch ohne Polizei hätte Herr Robert T. nicht sterben müssen. Es wird berichtet, Herr Robert T. habe sich umbringen wollen, und dies sei der Anlaß für seinen Bruder gewesen, die Polizei zu rufen. Aber auch für Herrn Robert T. gilt: er wollte nicht sterben. Er wollte nur so , d.h. so wie bisher, nicht weiterleben. Offensichtlich hatten die vorausgegangenen Therapieversuche Herrn T. dem Leben nicht nähergebracht. Das Leben, und zwar nicht das Leben schlechthin, sondern das Leben unter den spezifischen Umständen, das er zu führen gezwungen war, erschien Herrn Robert T. schlimmer als der Tod.

Die Zeitung schrieb auch von "Verfolgungswahn". Herr Robert T. war also nicht "selbst"mordgefährdet, sondern er sah sein Leben durch andere bedroht. Wer wollte jetzt, nachdem Herr Robert T. getötet wurde, noch von Verfolgungs"wahn" reden? Merke: auch wer unter sogenanntem Verfolgungswahn leidet, kann reale Feinde haben. Herr Robert T. hat es am eigenen Leib erfahren.

Und war nicht vielmehr Verfolgungswahn auf Seiten der Polizei letztlich ausschlaggebend, dafür, daß die "23 Jahre alte Kommissaranwärterin" Herrn Robert T. erschoß? Die zahlenmäßige Überlegenheit der Polizisten gegenüber Herrn Robert T. war offensichtlich, ebenso wie die waffentechnische (Schußwaffen contra Brotmesser). Wenn sich jemand bedroht fühlen mußte, wenn jemand tatsächlich bedroht war, dann Herr Robert T. angesichts der polizeilichen Übermacht. Die realen Kräfteverhältnisse, eindeutig zu Gunsten der Polizei, können es also nicht gewesen sein, weshalb die Polizistin hinterher sagte: "Ich fühlte mich bedroht". War es nicht vielmehr das Schreckgespenst Patient, das die Polizistin zum Schießen veranlaßte, sie ihrerseits Opfer von Wahnvorstellungen über die angebliche Gefährlichkeit und Gewalttätigkeit sogenannter Geisteskranker?, Wahnvorstellungen, die von den Ärzten immer dann hervorgezaubert wurden, wenn es beispielsweise darum ging, Gelder für den Bau sogenannter Irrenanstalten locker zu machen. Der Trick hat noch immer funktioniert.

Wenn es auch die 23-jährige Polizistin war, die den Finger am Abzug hatte, - das Schußfeld freigelegt und das Abschußobjekt Patient markiert, das hatten schon lange zuvor die Ärzte. Auch insofern war der Polizei-Arzt am Geschehen beteiligt, ohne selbst persönlich präsent gewesen sein zu müssen.

Sehr geehrter Herr Staatsanwalt, wenn Sie bei diesem Schreiben den Eindruck von ungewohnter Deutlichkeit haben, so liegt das ganz einfach in der Sache. Es ist grausam, unmenschlich und eine Kulturschande, wenn man schon auf den Mond fliegen kann, aber die Gesellschaft nicht imstande ist mit Kranken, und das sind wir ja irgendwie alle, anders umzugehen als sie zu töten. Es handelt sich ja auch keineswegs um einen einmaligen Fall; und der Weg für weitere Tötungen ist vorgebahnt. Muß denn nicht jeder Patient aus solchen Vorkommnissen den Schluß ziehen, daß er in Todesgefahr ist, sobald die Polizei auftaucht und er bekannt ist als Kranker? Und daß ihm nur eins bleibt: sich mit allen Mitteln zu wehren gegen das Erschossenwerden? Und wie reagiert dann die Polizei wieder darauf? Ein Ende des Tötens ist also nicht in Sicht, eher das Gegenteil.

Es ist auch sicher keine Lösung, mehr ärztliche Intervention zu fordern. Denn bei Herrn Robert T. hat es ja an ärztlicher Behandlung nicht gefehlt. Am Ende wollte er nicht mehr leben, so nicht mehr leben. Auch gibt es ja die Psychiatrie bekanntlich erst seit kaum 200 Jahren, und die Kulturmenschheit, die seit mehr als 60 000 Jahren existiert, ist demnach, abzüglich eines winzigen Bruchteils an Zeit, ohne diese Sorte Ärzte ausgekommen, ohne daß die Menschheit oder ein Einzelner Schaden genommen hätte oder gar untergegangen wäre. Auch gibt es Psychiater und Psychiatrie keineswegs überall auf der Welt, aber fest steht, daß überall wo Menschen zusammenleben, sich die Gemeinschaft mit Störungen auseinandersetzen muß und in der Lage sein muß, mit der Krankheit zu leben. In dem Maße, wie einer Gemeinschaft dies gelingt oder nicht, hat jeder einen Prüfstein dafür, was die jeweilige Gesellschaft taugt (in ähnlicher Weise soll das für hiesige Verhältnisse auch mal von einem deutschen Bundespräsidenten erörtert worden sein, ich glaube, es war Heinemann, aber das ist ja auch egal und jedenfalls schon wieder eine Weile her).

Es wäre Sache gewesen, Herrn Robert T. beizustehen, gerade so, wie man auch einem Ertrinkenden beisteht. Auch bei Ertrinkenden weiß man, daß sie in ihrer Not sich manchmal an ihren Retter anklammern, so daß dieser selbst in Lebensgefahr kommen kann. Aber das hat nicht dazu geführt, daß niemand mehr vor dem Ertrinken gerettet wird, daß man Schwimmringe und Rettungsboote abgeschafft hätte und nunmehr Ertrinkende sterben läßt oder gar noch auf sie schießt, weil man sich bedroht fühlt.

Gegenüber Mitmenschen in Not besteht die Hilfeleistungspflicht eines jeden. Aber, und auch das gab es schon, wenn in vergleichbaren Fällen Freunde oder Bekannte für eine unblutige Lösung tätig werden wollten, wurden sie zurückgewiesen. Grund: das sei Sache der Fachkäfte, sprich Ärzte, die aber auch in diesem Fall gar nicht da waren. Das heißt: einerseits reklamieren die Ärzte den Zugriff auf Krankheit ausschließlich für sich allein, lassen aber den Patienten dann sozusagen im Regen und (Kugel)Hagel stehen, während die anderen, Freunde, Bekannte, Wohlmeinende, Hilfsbereite, außen vor bleiben müssen.

Achselzuckende Resignation dem allen gegenüber wäre eine allzu billige Ausflucht. Immerhin ist seit mittlerweile fast 30 Jahren bekannt, daß es auch anders geht. Es ist durchaus möglich, mit Krankheit ganz anders umzugehen. Seit 1970 ist die Arbeit des Sozialistischen Patientenkollektiv (SPK) öffentlich bekannt, nicht zuletzt durch die Vielzahl seiner Publikationen seitdem.

Seit damals und zunehmend bis heute gibt es für die Arbeit des SPK breite Unterstützung durch alle Teile der Bevölkerung, die am eigenen Leib den Unterschied zwischen ärztlicher Behandlung in Klinik und freier Praxis und der ganz anderen Arbeit des SPK erfahren haben und die sich in ihrem eigenen Interesse als Kranke für das SPK entschieden haben, ebenso wie es Dokumente Dritter gibt, die dem Sozialistischen Patientenkollektiv Ergebnisse bescheinigt haben, die - so wörtlich - an Wunderheilungen grenzen, eine Sicht, die zwar Ansatz und Intention des SPK ("Aus der Krankheit eine Waffe machen") verfehlt, als "überragender Therapieerfolg" aber aus ärztlicher Sicht das allein ausschlaggebende Kriterium der Beurteilung sein müßte.

Es ist ja auch bezeichnend, daß der französische Philosoph und Nobelpreisträger Jean-Paul Sartre das SPK schriftlich und öffentlich ausdrücklich dazu aufgefordert hat, mit seiner krankheitsbezogenen Arbeit fortzufahren als das Wichtigste hier und heute im Blick auf die totale Entfremdung des Menschen, die nur als Krankheit begreifbar und überwindbar ist.

J.-P. Sartre hat übrigens den Nobelpreis abgelehnt und zwar einzig deshalb, weil er sich sonst zwangsläufig mit der dazugehörigen schlechten Gesellschaft korrumpiert hätte. Sich in die Gesellschaft von Kranken zu begeben, hat er dagegen nicht abgelehnt, sondern ganz im Gegenteil in der Arbeit des SPK den auch philosophischen Maßstab für jede künftige Gesellschaft gesehen, in der der Mensch tatsächlich das Maß aller Dinge ist, und zwar der kranke Mensch.

Auf die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Polizei-Arztes hinzuweisen, halte ich für wichtig, und auch die etwas umfangreicheren Ausführungen gehören meiner Meinung nach durchaus in diese Strafanzeige. Hat doch in der öffentlichen Berichterstattung mal wieder fast alles gefehlt. Denn die einen sind im Dunkeln/ Und die andern sind im Licht/ Und man siehet die im Lichte/ Die im Dunkeln sieht man nicht.

Auch war ich es nicht allein, dem einiges auffiel. Auch in meinem alters- und interessenbedingt recht großen Bekanntenkreis war dies alles immer wieder Thema, und auch am strafrechtlichen Fortgang der Sache besteht großes Interesse.

Bitte bestätigen Sie mir den Eingang dieser Strafanzeige und teilen Sie mir das Aktenzeichen mit, unter dem die Anzeige bearbeitet wird.

Unterschrift

Dank an KRANKHEIT IM RECHT für Unterstützung und Ermutigung!

 

PF/SPK(H), 11. September 2011