Österreich
Mangelnde Kommunikationsfähigkeit als selbstzuerstörerisches Element
gesellschaftlicher Krankheit
Ein Essay über die Flucht vor der Einsamkeit

Allgemein ist bekannt: der Mensch ist ein gesellschaftliches Wesen. Der Mensch braucht andere Menschen, um existieren zu können. Dies darf aber nicht ausnahmslos aus der Sicht der Arterhaltung gesehen werden. Eine solche Sichtweise wäre falsch. Vielmehr brauchen Menschen einander, um Gedanken austauschen zu können. Das können auch vergegenständlichte Gedanken, also Waren sein. Die vorliegende Abhandlung will sich aber nicht mit Waren und deren gesellschaftlicher Zirkulation beschäftigen, sondern mit dem Austausch von Gedanken in immaterieller Form. Damit ist in erster Linie die zwischenmenschliche Kommunikation gemeint. Das Kommunikationsbedürfnis ist bei jedem Menschen anders ausgebildet, bei manchen stärker und bei anderen schwächer. Jeder Mensch hat aber ein solches Kommunikationsbedürfnis, angenommen, daß der Mensch seine Grundbedürfnisse wie Essen, Wohnen und Kleidung befriedigt hat. Leider ist es so, daß nicht alle Menschen miteinander reden möchten. Die Betreffenden wissen selbst nicht warum, sie meinen, das sei halt nun mal so. Von vielen bzw. fast allen wird angenommen, daß sie bewußt handeln und selbst darüber bestimmen, mit wem sie kommunizieren und mit wem nicht. Jedoch wird übersehen, daß sie, bevor sie noch richtig sprechen können und danach noch stärker, von Vorurteilen jeder Art beeinflußt werden. Eben aus diesen Vorurteilen resultiert eine mangelnde Kommunikationsfähigkeit. Diese Vorurteile und der Kommunikationsmangel dienen den Herrschenden als Machtinstrumente. Dies aber nicht nur in Formen, die nach außen wirken (z.B. irgendwer wird als „gut“ oder „schlecht“ bezeichnet), sondern vielmehr in Formen, die gegen jede/n Einzelne/n nach innen gerichtet sind. Diese nach innen gerichteten Formen sind Moralvorstellungen, angelernte Verhaltensweisen und ähnliches. Um miteinander in Kontakt zu kommen, werden oft große Umwege im Verhalten in Kauf genommen. Einsichtig ist dies noch bei religiösen Verhaltenszwängen. Den Menschen werden Dinge, die sie gern tun würden, unter Androhung gesellschaftlicher Sanktionen verwehrt. Als Ersatz wird ihnen empfohlen, gewisse Verhaltensweisen an den Tag zu legen. Diese machen sie nicht glücklich und das, was sie gern tun würden, dürfen sie nicht. Ihnen wird nahegelegt, die Ersatzhandlungen vermehrt zu betreiben, dann würde es ihnen besser gehen. Sie befolgen diesen Rat und vergessen dadurch mitunter, was für jede/n individuell die Quelle des Glücks sein hätte können. Sie werden durch die aufgebürdeten Ersatzhandlungen nicht zufriedener, aber dafür umso abhängiger. Wenn die Unzufriedenheit der so betrogenen Leute zu groß wird, richtet sich ihr mittlerweile aufgebauter Zorn gegen diejenigen, die sie getäuscht haben und sie verfallen, ohne die Hintergründe zu durchdenken, anderen Ersatzhandlungen, die sie genauso enttäuscht lassen. Jetzt wird der Leser oder die Leserin entgegenhalten, daß das vielleicht einmal so war, aber heute ist das schon alles überwunden. Tatsächlich aber befindet sich der Mensch in einer ähnlich verhängnisvollen Situation wie noch vor Jahrhunderten. Die gesellschaftliche Krankheit ist nicht geringer geworden, sondern hat nur ihre Form geändert. Insbesondere das selbstzerstörerische Element hat sich verstärkt. Damit ist nicht nur das Auftreten immer größerer und aufwendigerer Kriege gemeint, sondern auch die Situation jeder/jedes Einzelnen schlechthin. Um Anerkennung bei seinen Mitmenschen zu erhalten, vermeint man/frau allgemein, Statussymbole zu benötigen. Um die Gunst anderer zu erhalten, werden immer mehr materielle Dinge verwendet. Fehlen die Mittel zur Erlangung dieser Symbole und Gegenstände, wird begonnen, die Not zur Tugend zu machen und man/frau schafft sich eine „Subkultur“. Das Tragen eines Brillantohrringes unterscheidet sich aber im Sinn keineswegs von der Verwendung eines Nasenringes aus Eisen. Wenn zwar genügend Mittel vorhanden wären, dadurch jedoch auch kein Erfolg absehbar ist, klammert man sich an Äußerlichkeiten, die absolut nicht den Nimbus von Statussymbolen besitzen - eher das Gegenteil. So wird man/frau zum/zur „Aussteiger/in“ und behauptet, über gesellschaftliche Dummheiten erhaben zu sein. Subkultur-Utensilien werden nun als Schmuck verwendet. Was von solchen Verhaltensweisen zu halten ist, ergibt sich aus Vorherstehendem. Die Triebkraft derartigen Verhaltens ist stets die Angst, von anderen nicht gemocht zu werden. Abhilfe würde der couragierte Umgang mit seinen Mitmenschen und ein großes Maß an gegenseitiger Offenheit bringen. Diese Offenheit wird unterdrückt in der Angst vor gesellschaftlichen Sanktionen. Was ist, wenn ich offen bin und die anderen nicht? Dann bin ich der Dumme! Dieser Gedanke ist ein bedeutender Teil gesellschaftlicher Krankheit und ein wesentlicher Bestandteil der Unterdrückung. Es wäre schön, wenn es immer so einfach wäre. Oft ist es so, daß gezielt materielle Dinge zum Schlüssel zur Kommunikation gemacht werden, ohne die man das Gefühl des Ausgesperrtseins hat und leider oft auch ausgesperrt ist. Auffallen tut dies erst denjenigen, die selbst Opfer davon sind. Als Beispiel sei die Wirkung von Autos auf die Kommunikationssituation in ländlichen Regionen genannt. In der falschen Meinung, im eigenen Ort sei nichts los, gepaart mit ohnehin vorhandener Kontaktschwäche, fliehen viele zeitweilig ihre gewohnte Umgebung. Dadurch ist wirklich „weniger los“ und die wenigen Verbliebenen sind ihrerseits gezwungen, selbst ein Auto zu haben, um nicht endgültig einsam zu bleiben (Anmerkung: wäre eine feine Sache, wenn es überall öffentliche Verkehrsmittel gäbe - auch abends und an Wochenenden). Wenn man sich aber wirklich durchgerungen und einen anderen Menschen gefunden hat, mit dem man zumindest ein paar Mal in Kontakt treten möchte, gibt es - noch immer - Mittelchen, die die Kommunikation fördern können. Diese entpuppen sich aber stets als „Trojanisches Pferd“. Beim Kommunikationsförderer Alkohol werden bald Geist und Stimme versagen. Bei den ach so lustigen Musik- und Tanzveranstaltungen wird die Stimme aufgrund der umgebenden Lautstärke bald heiser sein. Für jene, die in puncto persönliche Kontakte auf der Strecke geblieben sind, hat unsere Gesellschaft einige Trostpflaster bereit. Man/frau kann sich maßlos betrinken oder greift zu anderen Drogen - man/frau ist ja „in“. Ein „schöner“ Fernsehabend macht auch die persönliche Einsamkeit vergessen. Zudem wird man gleichzeitig gleichgeschaltet und oftmals geistig deformiert. Es stellt sich die Frage, ob deshalb soviel ferngesehen wird, weil die Programme so gut sind oder deshalb, weil die Menschen massenweise vor ihrer eigenen Kommunikationsschwäche fliehen. Ganze Arsenale von Konsumartikeln stehen bereit, um abzulenken. Abzulenken davon, daß man/ frau eigentlich gerne etwas anderes tun wollte. Das selbstzerstörerische Element gesellschaftlicher Krankheit gilt es zu überwinden. Dies wird nur durch gegenseitigen Kontakt ohne Konsum möglich sein. Das wäre Natur pur - sogar in der Großstadt. Das wäre revolutionär, aber ohne nachgeplapperte Losungen. Am Anfang war das Wort; das gilt es zu finden. Dann kommt die gemeinsame Tat.

Mag. Victor Müller